„Ruhe im Saal, verdammt noch mal! Ich lasse Sie alle polizeilich entfernen und hinter Gitter bringen, wenn Sie nicht sofort aufhören mit diesem Radau!“
Der Richter schlug mit dem Hammer nicht mehr nur auf die Holzunterlage, sondern den gesamten Richtertisch entlang. Doch entgegen seinen Anweisungen nahm der Lärm im Gerichtssaal noch zu und schwoll zu einem bedrohlichen Tumult an. Eine Zuschauerin schlug mit ihrem Knirps-Schirm auf den Kopf der Journalistin, die hysterisch an deren Handtasche zerrte, während der Vorsitzende des Polizeirates, der bis vor Kurzem noch in der ersten Reihe gesessen hatte, aufsprang und sich tatkräftig gegen einen Fremden verteidigte, der begonnen hatte, ihm den Hut vom Kopf zu schubsen und nun seine Faust erhob.
Zwanzig Minuten zuvor.
„Angeklagter. Ist es richtig, dass Sie sich zum Zeitpunkt der Tat in der Nähe des …“
„Entschuldigung, aber ich muss zunächst darauf bestehen, dass Sie Angeklagte sagen.“ Schweigen. Ein Räuspern. Jemand raschelt mit Papier.
„Na gut, also ‚Angeklagte‘. Stimmt es nun also, dass Sie in der Nähe des Geschäfts von Herrn Schmalz waren? Also, zum Zeitpunkt der …“
„Bringen Sie den Satz so schwer ein zweites Mal über die Lippen?“
„Beantworten Sie bitte einfach die Frage, verehrte Angeklagte!“
„Einspruch euer Ehren!“ Mit lauter Stimme unterbricht die Verteidigung den Anwalt der gegnerischen Partei. „Im ehrenwerten Gericht ist kein Platz für Zynismus. Wir leben im 21. Jahrhundert. Es wird gegendert. Punkt.“
Der Richter winkt abschätzend, dann richtet er sich in seinem Sitz auf und sagt: „Bitte, wiederholen Sie einfach Ihre Frage und lassen Sie uns eine Farce weitestgehend vermeiden!“
„Hm. Angeklagte: Können Sie bestätigen, dass Sie sich zum Zeitpunkt der Tat in der Nähe des Lebensmittelgeschäfts aufgehalten haben?“
„In der Nähe welches Lebensmittelgeschäfts? Es gibt davon nicht eben wenige in dieser Stadt.“
Erneutes Papiergeraschel. Die Typistin hält inne und schickt einen verzweifelten Blick in Richtung des Richters. Dieser zieht nur eine Augenbraue hoch.
„Sehr verehrte Angeklagte – und das meine ich völlig ernst. Bitte, wären Sie so gut, dem Gericht mitzuteilen, ob Sie sich zur Tatzeit, am 31. Oktober dieses Jahres um 16:31 Uhr, in der Nähe oder sogar im Innenbereich des Lebensmittelgeschäfts des Herrn Schmalz befanden?“
„Nein.“
„Es gibt Zeugen, die Sie dort gesehen haben.“
„Ich wollte ausdrücken, dass ich es dem Gericht mitnichten mitteilen werden. Immerhin ist es meine Privatangelegenheit, wo ich mich zu welchem Zeitpunkt aufgehalten habe.“
Die Verteidigung raschelt mit Papier, wechselt umständlich die übereinandergeschlagenen Beine und notiert schließlich etwas auf einem Zettel, den sie der Angeklagten hinüberschiebt. Diese fährt sich mit der Hand über ihren Bart und blinzelt. Dann fährt sie fort:
„Der Richter war auch dort. Ebenso Sie, verehrter Herr Anwalt, und der Vorsitzende des Polizeirates. Sagen Sie mir: Warum sitze ich hier als Angeklagte, und niemand der eben genannten Personen?“
Schweigen. Ein Räuspern. Jemand raschelt mit Papier.
„Na gut, also ‚Angeklagte‘. Stimmt es nun also, dass Sie in der Nähe des Geschäfts von Herrn Schmalz waren? Also, zum Zeitpunkt der …“
„Bringen Sie den Satz so schwer ein zweites Mal über die Lippen?“
„Beantworten Sie bitte einfach die Frage, verehrte Angeklagte!“
„Einspruch euer Ehren!“ Mit lauter Stimme unterbricht die Verteidigung den Anwalt der gegnerischen Partei. „Im ehrenwerten Gericht ist kein Platz für Zynismus. Wir leben im 21. Jahrhundert. Es wird gegendert. Punkt.“
Der Richter winkt abschätzend, dann richtet er sich in seinem Sitz auf und sagt: „Bitte, wiederholen Sie einfach Ihre Frage und lassen Sie uns eine Farce weitestgehend vermeiden!“
„Hm. Angeklagte: Können Sie bestätigen, dass Sie sich zum Zeitpunkt der Tat in der Nähe des Lebensmittelgeschäfts aufgehalten haben?“
„In der Nähe welches Lebensmittelgeschäfts? Es gibt davon nicht eben wenige in dieser Stadt.“
Erneutes Papiergeraschel. Die Typistin hält inne und schickt einen verzweifelten Blick in Richtung des Richters. Dieser zieht nur eine Augenbraue hoch.
„Sehr verehrte Angeklagte – und das meine ich völlig ernst. Bitte, wären Sie so gut, dem Gericht mitzuteilen, ob Sie sich zur Tatzeit, am 31. Oktober dieses Jahres um 16:31 Uhr, in der Nähe oder sogar im Innenbereich des Lebensmittelgeschäfts des Herrn Schmalz befanden?“
„Nein.“
„Es gibt Zeugen, die Sie dort gesehen haben.“
„Ich wollte ausdrücken, dass ich es dem Gericht mitnichten mitteilen werden. Immerhin ist es meine Privatangelegenheit, wo ich mich zu welchem Zeitpunkt aufgehalten habe.“
Die Verteidigung raschelt mit Papier, wechselt umständlich die übereinandergeschlagenen Beine und notiert schließlich etwas auf einem Zettel, den sie der Angeklagten hinüberschiebt. Diese fährt sich mit der Hand über ihren Bart und blinzelt. Dann fährt sie fort:
„Der Richter war auch dort. Ebenso Sie, verehrter Herr Anwalt, und der Vorsitzende des Polizeirates. Sagen Sie mir: Warum sitze ich hier als Angeklagte, und niemand der eben genannten Personen?“
Schweigen.
„Ich werde es Ihnen sagen: Weil der Vorsitzende in einem Kleid kam, Sie selber als Lausbub verkleidet waren und der Herr Richter als Gespenst erschien. Niemand hat Sie erkannt! Und die sogenannten Zeugen glauben, dass ich dort war, weil sie eine Hexe mit einem Bart gesehen haben. Ich bitte Sie!“
Die Angeklagte streicht ihren karierten Rock glatt und fährt wie zufällig über ihr rechtes Handgelenk.
Die Journalistin beginnt nervös, ihre Taschen abzusuchen, und dem Vorsitzenden des Polizeirates rutscht der Hut ins Gesicht.
Für einen Moment ist es so still im Gerichtssaal, als wäre er leer.
„Abrakadabra“, sagt die Angeklagte.
Die Journalistin springt auf und stürmt auf eine der Zuschauerinnen zu.
„Sie haben es! Sie haben es mir gestohlen“, brüllt sie und beginnt an der Handtasche der Zivilistin zu zerren. Die Zuschauerin zückt ihren Knirps.
Der Hut des Vorsitzenden des Polizeirates fällt ihm erneut in den Schoß und diesmal hatte er den Stoß deutlich gespürt. Er dreht sich wütend zu seinem Angreifer um, der ihm mit einem gezielten Schlag die Nase bricht.
„Ruhe“, schreit der Richter dazwischen und hämmert auf seinen Tisch ein.
„Hör auf damit“, sagt der Verteidiger und zieht schnell die Flügel unter seine etwas zu klein geratene Anzugjacke.
„Jedes Jahr dasselbe zu Halloween. Chaos, Streit und Gewalt. Kannst du nicht mal etwas Fröhliches hexen?“
„Doch, ich könnte“, erwidert die Angeklagte und gähnt, „Aber wenn hier Friede, Freude, Eierkuchen im Gerichtssaal herrschte … Das würde mir doch kein Mensch glauben.“
Mit diesen Worten erhebt sie sich und verlässt unbescholten den Saal, ihren Verteidiger auf der Schulter. Wie jedes Jahr.
