Das Leben hat mich zu einem Ausflug eingeladen, ich habe zugesagt, setze mir meinen Strohhut auf und warte, dass es mich abholt.
Wir fahren über Land, ich komme mir vor wie das Abziehbild einer Fontane-Novelle. Das Leben spielt Sommer: Es trägt kurze Hosen und wirkt wie ein Junge, der mit der Schleuder spielt und im Vorbeigehen Klingelstreiche macht. Mein Strohhut sitzt ein wenig schief, das kommt daher, dass ich nicht gewohnt bin, einen zu tragen, es aber für angemessen hielt, und jetzt mache ich gute Miene zum bösen Spiel. Das Leben lacht kurz, sagt etwas Wichtiges, ich ziehe die Mundwinkel hoch und blicke aus dem Ruderboot, in das wir vor nicht allzu langer Zeit gestiegen sind. Neben mir fließt eine Landschaft hinweg, die traumhaft erscheint, sodass ich mich zwicken muss. Ich sehe das Leben an, sage etwas über seine zerschürften Knie, es sieht mir verliebt in die Augen, aber ich weiß, dass es nicht in mich verliebt ist und bin insgeheim froh darüber. Wir reden über Lagerfeuer, Wollröcke, Bleistifte und Papier, nicht über Politik oder Tod. Das Leben fürchtet sich vor Sonne, weil sie brennt, und vor Schatten, weil er erfriert, und dann lachen wir ein bisschen so wie Kinder es tun. Das Leben streicht mir hin und wieder eine Strähne aus dem Gesicht und ich übernehme ab und zu das Ruder, damit es dafür die Hände frei hat.
Wir erreichen ein Dorf, das mittlerweile fast eine Stadt ist, und streiten leise über die Wahl der Gaststätte, in der wir Käse- und Schinkenbrote essen wollen. Das Leben lacht über mein Käsebrot, ich rümpfe die Nase über sein Schinkenbrot und alles geht weiter wie bisher. Das Leben gibt einen aus und ich lächle selig, denn das kommt selten genug vor. Es wird hell in der Gaststätte, weil die Sonne wandert, das Leben holt aus zu einem tiefgreifenden Monolog und ich stütze den Kopf auf, weil er schwer wird oder nur so, weil ich es für eine schöne Geste halte. Ich probiere heimlich während des Vortrages verschiedene Posen aus, schlage die Beine übereinander, lege verträumt den Kopf auf meine verschränkten Hände, lächle und verdrehe die Augen. Das Leben ist so vertieft in sich selbst, dass es nichts davon bemerkt, nur einmal schaut es mich an, als ich gerade die Beine langsam übereinanderschlage, und hält das für ehrliches Interesse. Als das Leben den Monolog beendet und ich den Rotwein fast alleine ausgetrunken habe, machen wir uns wieder auf den Weg.
Diesmal fahren wir mit dem Fahrrad weiter, das Leben hat alles vorbereitet. Es zieht aus der Hosentasche einen kleinen Zettel und wirft ihn unterwegs hinter sich, auf meine Frage sagt es: „Nachrichten für meine Nachkommen“, und fällt vor Lachen fast vom Rad.
Ich bin jetzt ein bisschen wütend, trete kräftiger in die Pedale und fahre dem Leben einige Meter davon, es holt aber triumphierend wieder auf. Mir bleiben erst der Atem, dann die Worte weg und ich steige empört vom Fahrrad, lasse es in einen Busch fallen und lege mich auf eine Wiese. Das Leben setzt sich neben mich und blickt über die Wiese, über den Weg, über das Land. Ich höre es ruhig atmen, wie in Meditation versunken, und die Regelmäßigkeit lullt mich ein, dass ich die Augen schließe und einschlafe. Das Leben hat alles genau geplant, es weckt mich, weil wir weiter müssen, es gibt mir kaltes Wasser zu trinken, es hilft mir auf das Fahrrad, ich trete noch müde in die Pedale, aber ich komme schnell wieder in Fahrt. Die Sonne beginnt, hinter Hügeln zu verschwinden, ihr Licht leckt rot über meinen Lenker und es fällt mir schwer, nicht vom Rad zu stürzen, weil ich versuche, dem feurigen Strahl auszuweichen. Das Leben erzählt irgendwas – sicher wieder etwas wahnsinnig Wichtiges, das ich nicht mitbekomme –, ich schlenkere auf meinem Rad, habe keine Lust mehr, fahre doch weiter, falle dem Leben schließlich ins Wort und steige ab. Das Leben bremst scharf, meckert ein bisschen rum, verstummt aber, als es meinen mürrischen Gesichtsausdruck sieht, und steigt ebenfalls vom Rad.
Ich weiß, dass wir die Fahrräder zurückbringen müssen. Ich weiß, dass wir irgendwie wieder nach Hause müssen. Ich weiß, ich weiß, ich weiß, und ich setze mich trotzdem an den Rand des Weges und bin übel gelaunt, ohne genau zu wissen, warum. Ich quengele und bin müde, ich bin wütend, weil ich will, und deprimiert, weil ich kann.
Plötzlich ist das Gesicht des Lebens ganz nah an meinem, es hat sich eine dunkle Jacke übergezogen und sieht plötzlich wie eine prätentiöse Frau aus, die mir ihre Hand reicht, während sie leise flüstert: „Lass uns zusammen ein Projekt machen, nur du und ich.“
Dann steht sie auf und bereitet die Heimreise vor.
Ich bin zu müde, um gegen die Geschäftigkeit zu protestieren, zu erschöpft, um mich darüber zu wundern, dass das Leben die ganze Zeit Witze erzählt. Ich setze den Strohhut ab, denn es wird dunkel. Ich frage nach dem Weg und nach der Länge der Strecke, das Leben zuckt mit den Achseln und lächelt oder nicht. Der Sommer versteckt sich hinter Hügeln, das Leben fordert mich ein letztes Mal auf, das Fahrrad zu besteigen und nach Haus zu fahren. Ich denke nicht mehr darüber nach.
Ein Ausflug im Jahr ist mir wirklich genug.