Ich liege im Bett und denke über das Geld nach, das ich nicht habe. Dabei sehe ich an die Decke. Das Schlafzimmer ist das einzige Zimmer, das noch Raufasertapete hat. Sie sieht wirklich rau aus und an einer Stelle ist sie zerrissen. Wie eine klaffende Wunde, aus der die rohe Wand hervorsieht. Hätte ich Geld, denke ich, würde ich hier erst mal alles renovieren.
Ich richte meine Ohren gen Wohnzimmer, auf die Lautsprecherboxen oben an der Wand. Wenn ich Geld hätte, denke ich wieder, würde ich die Surroundanschlüsse meines Receivers nutzen und mir Boxen ins Schlafzimmer legen.
Die im Wohnzimmer sind knapp unter der Decke, sieht fett aus, und ich wünsche mir ein MKII, dann wäre es fast so, als wäre ich D-Jane; das würde mir gefallen. Wenn ich mal Geld habe, denke ich, kaufe ich mir ein MKII, ein richtig großes Ding, das stelle ich in mein Musikzimmer. Wenn ich mal eins habe.
Ich liege im Bett, in der Stadt, in der die Regentropfen an die Fenster trommeln wie Artilleriebeschuss. Während meine Gedanken um das Geräusch des Regens, der an meine Scheibe klopft, kreisen, klingt es eher so, als würde er um Einlass bitten.
Ich lasse die Jalousie einfach unten, denke ich, aber da stehe ich schon davor und ziehe an dieser Doppelschnur, die sich immer im kleinen Rädchen oberhalb der Jalousie verhakt, sodass es lange, sehr lange dauert, ehe sie oben ist – und sie herabzulassen dauert noch länger.
Jetzt, wo ich die Jalousie extra hochgezogen habe, gucke ich ein bisschen raus. Eine Garage des Kfz-Mechanikerhofes, der wie eine unbewohnte Insel zwischen den Häusern liegt, steht offen. Ich atme ein und wieder aus, sodass sie jetzt verhüllt von einer nebligen Schicht scheint, die aber schnell wieder verschwindet, weil meine Heizung wohlig-warme Luft nach oben schickt. Ich kann mich an einem Tag wie heute wirklich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal aus meinem Schlafzimmerfenster gesehen habe.
Ich kenne nur den Blick aus der Balkontür im Zimmer nebenan. Mir scheint, wenn ich dort hinausblicke, sind die Garagen immer verschlossen. Als ich für einen Literaturwettbewerb schrieb, habe ich oft den Ausblick aus der Balkontür genossen, denn es schneite und der Mechanikerhof lag in unschuldigem Weiß vor mir und fast wäre ich hinausgelaufen, um dort Spuren zu hinterlassen. Aber meine Worte fesselten mich an meine Wohnung und meinen Schreibtisch.
Als ich einmal spät nachts nach Hause kam, sah ich ein Taschenlampenlicht auf dem Hof und erinnerte mich an Geschichten, die mein Freund mir, nicht am Lagerfeuer, aber beim Weintrinken erzählt hatte, von Autoknackern, die sich einsame Wagen auf dem KFZ-Hof zur Beute machten. Ich trug einen Minirock und ein Handtäschchen über dem Arm und kam mir vor wie in einem blöden Film, mit Schusswaffen und Zeugen, die unbedingt aus dem Weg geräumt werden müssen.
Wenn ich abends, was ich häufig tue, in meiner Wohnung umhergehe, geben mir meine Nachbarn den Blick in ihre warmen, hell erleuchteten Wohnzimmer frei, in denen sie mit Freunden sitzen oder eine ständige Festbeleuchtung brennen lassen, die ich für Weihnachtsdekoration hielt, und die bis jetzt nicht aus dem großen Fenster verschwunden ist. Es ist Frühling.
Ich bin bis jetzt nicht auf die Idee gekommen, dass sie mich auch sehen könnten, wenn ich nackt aus der Dusche komme und durch meine Wohnung tanze.
Könnte es sein, dass auch sie aus ihren Balkontüren schauen und den unbefleckten Schnee auf dem Mechanikerhof sehen, in dem sie unbedingt Spuren hinterlassen möchten?
Haben sie die Taschenlampen auf dem Hof gesehen und befürchtet, dass jemand sie in ihren hellen Zimmern entdeckt und ihnen auflauert, wie es in schlechten Filmen so üblich ist?
Pochen bei ihnen jetzt die Regentropfen ans Schlafzimmerfenster und klingen wie Artilleriebeschuss oder wie das Klopfen eines guten Bekannten, der ins Warme möchte? Und sehen sie zum ersten Mal aus ihrem Schlafzimmerfenster, weil sie schauen wollen, wie die Regentropfen aussehen, die sich auf ihre Scheiben retten, um nicht auf den Boden des Kfz-Mechanikerhofes zu fallen, weil sie wissen, dass niemand in ihnen Spuren hinterlassen möchte?
Es wird dunkel und der Regen ist unbeirrbar. Ich versuche, die Jalousie mit einem Ritsch-Ratsch-Geräusch heruntersausen zu lassen, wird aber nichts, weil das kleine goldfarbene Rädchen immer wieder über die Doppelschnur schnalzt, mit einem kleinen Klickgeräusch, das mich an Regentagen wie diesem beinahe zur Weißglut treibt.
Ich lege mich wieder aufs Bett und schaue an die Decke, die jetzt dunkel ist und keine Konturen mehr hat. Aber auch keine raue Raufasertapete, was mich für einen Moment das Geld vergessen lässt, das ich nicht habe.
Dafür kommen mir meine Nachbarn wieder in den Sinn.
Wenn ich Geld hätte, denke ich, würde ich mir zwei Jalousien anfertigen lassen, die ich an meinen beiden Balkontüren befestigen würde, um nicht mehr gesehen zu werden …