Interview mit dem Teufel

Wir treffen uns spät abends in einer kleinen Spelunke, die ich nicht kannte, bevor er mir die Adresse genannt hatte. Ich finde den Ort und die Zeit äußerst klischeehaft, habe mich aber nicht getraut, das zur Sprache zu bringen. Vielleicht ist es auch eine gute Entscheidung – wenn man diesen Grad der „Popularität“ erreicht hat.
Als ich die Kneipe betrete, erkenne ich zunächst gar nichts. Es ist dunkel, spärlich besucht, der Barkeeper sieht gelangweilt aus und die wenigen Lampen, die mit farbigen Papierfetzen überhängt sind, spenden diffuses, schlechtes Licht. Schließlich erhebt sich eine Gestalt in der hintersten Ecke und gibt mir mit einer freundlichen Geste der Hand zu verstehen, dass ich mich zu ihr setzen soll. Er ist es.

Ich trete vorsichtig näher. Die toughe Journalistin, die ich immer vorgebe zu sein, hat sich einen Abend freigenommen und sitzt wahrscheinlich an einem hell erleuchteten Ort mit einem Bier und guten Freunden zusammen, während ich meine zittrige Hand ausstrecke, die er fast zärtlich ergreift.
„Guten Abend“, sagt er höflich mit angenehmer Stimme.
Ich schlucke, dann erwidere ich seinen festen, freundlichen Händedruck und sage, leicht belegt: „Guten Abend … Herr der Finstern…“
Er unterbricht mich: „Teufel. Einfach nur Teufel.“ Er lächelt kokett und deutet auf den Stuhl gegenüber.
Wir setzen uns und schweigen einen Moment. Ich packe mein Aufnahmegerät aus, wie ich es schon Hundert Mal getan habe, platziere es auf dem Tisch zwischen uns und lege mir noch einen Block und einen Stift zurecht. Ich mache mir gerne zusätzliche Notizen auf Papier. Dann schlage ich mein Notizbuch an der markierten Stelle auf. „Interview: Teufel“ steht dort in meinem besten Hand Lettering.
Der Teufel sieht mich freundlich aus dunklen Augen an. Er ist, nun ja, nicht ganz so beeindruckend, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Er ist durchschnittlich groß und sein Gesicht wirkt unglaublich normal. Einzig der perfekt sitzende, schwarze Anzug und die aristokratisch geschnittenen Gesichtszüge lassen vermuten, dass etwas mehr hinter der normal anmutenden Fassade steckt. Und seine Augen sind …
„Beginnen wir“, sagt der Teufel und deutet auf mein Aufnahmegerät.
„Natürlich“, antworte ich und drücke auf Record.

Journalistin: Vielen Dank, dass Sie mir die Ehre dieses Interviews erweisen, Herr Teufel.

Teufel: Teufel. Einfach nur Teufel. (Ein Lächeln huscht über sein Gesicht) Sehr gern.

J: Sie haben diesen Ort, diese Kneipe für unser Treffen vorgeschlagen. Ist dies Ihr Stammlokal?

T: (Lacht zum ersten, aber längst nicht letzten Mal in diesem Gespräch ein kehliges, selbstsicheres Lachen) Nein, nein! Normalerweise verbringe ich meine Zeit nicht in solchen Etablissements. Aber dieser Ort ist, nun, sagen wir, magisch für mich. Und wir sind weitestgehend allein, was mir gut gefällt.

J: Wo verbringen Sie Ihre Zeit denn sonst?

T: Die Welt ist mein Zuhause.

J: Und die Hölle?

T: (Lacht) Die Hölle ist nur eine Idee. Keine schlechte Idee, das gebe ich zu, aber dennoch eine Idee, ein Konzept, das in den Köpfen der Menschen existiert. Ebenso wie der Himmel. Und ich würde eine Idee nicht als Zuhause bezeichnen. Sie?

J: Nein, sicher nicht. Heißt das, dass weder der Himmel noch die Hölle existieren? (Ich mache mir eine Notiz auf meinem Block)

T: Nun … Was glauben Sie, Frau Kraft?

J: (Ich schlucke. Mein Name klingt warm und besonders aus seinem Mund. Ich merke, dass er mich nervös macht. Nicht gut!) Ich glaube nicht an Gott. Also glaube ich nicht an den Himmel. Allerdings … glaube ich auch nicht an die Hölle oder den …

T: … Teufel?

J: Tja …

T: (Lacht) Nun, das mit dem Teufel haben wir wohl jetzt aufgeklärt.

(In seinen Augen blitzt es vergnügt.)

J: Also gibt es auch … Gott?

T: Ich denke schon.

Der Teufel sieht mich enigmatisch an. Mir wird klar, dass dieses Gespräch aus dem Ruder läuft, wenn die toughe Journalistin weiterhin woanders Bier trinkt. Ich setze mich aufrechter hin und gehe meine Notizen durch.

J: Darauf würde ich gerne später zurückkommen. Herr … ähm … Teufel. Beginnen wir noch einmal ganz von vorn. Sie haben diesen Ort ausgewählt. Sie sagten, er sei magisch für Sie. Was heißt das genau?

T: Hier fanden seinerzeit Hexenverbrennungen statt. Ich habe diese Frauen immer bewundert. Sehen Sie, ich habe keine Hexengefolgschaft, hatte ich nie. Ich bin eher ein Einzelgänger. (Lacht) Aber die meisten dieser – absolut zu Unrecht – verbrannten Frauen waren mutige, weise Damen, die sich nicht von den selbstgerechten, mächtigen Männern haben unterkriegen lassen. Und so eine Geisteshaltung bewundere ich zutiefst.

J: Heißt das, der Teufel ist ein Feminist?

T: (Zögert. Sehe ich ein leichtes Nicken? Nein. Freundlich, aber bestimmt spricht er weiter) Der Teufel ist der Teufel.

J: Natürlich. Wie kann ich mir sicher sein, dass Sie der Teufel sind? Können Sie es beweisen?

T: Könnte ich.

J: Also?

T: Ich habe keine Hörner, keinen Pferdefuß, noch nicht mal einen Schwanz. Ich rieche auch nicht nach Schwefel – oder? (Kokettes Lächeln) Aber Sie glauben mir …

J: (Er hat recht. Ich glaube ihm. Sein ganzer Habitus … Seine Augen …) Ja. Ich glaube Ihnen.

T: Gut.

J: Wissen Sie, dass sie in der Menschenwelt mittlerweile fast so etwas wie ein Popstar sind?

T: (Schmunzelt) Tatsächlich.

J: Sie werden verehrt. Metalbands huldigen Ihnen auf ihren Platten. Es gibt verschiedene satanistische Kreise, die sich auf Sie berufen. Und im Gegensatz zu früher sind Sie heutzutage cool. Bedeutet Ihnen das etwas?

T: (Macht eine abwehrende Handbewegung) Nein. Ich nehme das zur Kenntnis, sicher. Aber was meinen Sie, was für einen Stress ich hätte, wenn ich jeden beehrte, der mich in Liedern oder ähnlichen Beschwörungen ruft! Verehrungen, Starkult … das ist nicht meine Welt. Ich agiere lieber im Verborgenen.

J: Warum haben Sie dann diesem Interview zugestimmt?

T: Das habe ich mich auch gefragt! (Lacht) Ich fand die Idee interessant. Die meisten Menschen möchten mich sehen, um mich um etwas zu bitten. Einen Gefallen. Eine kleine Hilfestellung. Es hat mich interessiert, dass ein Mensch mich sehen möchte, um mir Fragen zu stellen. Um mir zuzuhören.

J: Sie meinen, Menschen beschwören Sie, um Ihnen ihre Seele zu verkaufen und dafür einen Gegenwert zu erhalten?

T: Die Seele verkaufen ist doch etwas altmodisch. Aber: Ja.

J: Können Sie mehr dazu sagen?

T: Nein. Nun. Vielleicht.

J: Bitte …

T: Wissen Sie, ich brauche keine Seelen. Ich habe kein Interesse an diesen traurigen Kreaturen, die nach Erfolg streben, nach Reichtum, nach Berühmtheit. Das ist mir zu … banal.

Er lächelt vergnügt, in seinen Augen blitzt es. Er sitzt ganz ruhig da und sieht mich direkt an. Ich kann meine Augen nicht senken, mich seinem Blick nicht entziehen. Seine Stimme wird tiefer, eindringlicher.

T: Doch manchmal taucht eine besondere Seele auf. Stark. Mutig. Waghalsig. Sie ist bereit, alles zurückzulassen für diesen einen Wunsch. Nicht mehr Raupe sein, sondern Schmetterling. (Er setzt sich zurück und spricht normal weiter) Und ich gebe zu, dass mein Interesse sich dann durchaus regt.

J: Und dann machen Sie einen Vertrag mit … mit Blut unterzeichnet …

T: (Der Teufel lacht so sehr, dass der Barkeeper zu uns herüberschaut, aber sofort wieder wegsieht.) Nein, mitnichten! Es gibt einen Pakt, ja, und ich erfülle den Wunsch, natürlich. Aber wie das im Detail aussieht, bleibt zwischen meinen Klienten und mir.

J: Und was fangen Sie mit der Seele an?

Der Teufel greift zu meinem Aufnahmegerät. Er drückt Stopp. Ein Moment vergeht. Ich erinnere mich an das, was er sagt, aber ich vergesse es gleichzeitig. Das Aufnahmegerät läuft weiter, ein Glas Rotwein steht vor mir, der Teufel sieht mich an, ich lächle verwirrt, dann fahren wir fort.

J: Erzählen Sie mir von Gott.

T: Muss ich? (Lacht) Er ist ein netter Typ. Wir sprechen einmal die Woche.

J: Worüber sprechen Sie?

T: Hm. Haben Sie manchmal Dienstbesprechungen?

J: Ja.

T: Und steht etwas darüber in der Zeitung, für die Sie schreiben?

J: Nein.

T: Aha.

Natürlich. Nur weil der Teufel diesem Gespräch zugestimmt hat, heißt das nicht, dass er sich in die Karten gucken lässt. Ich überlege, mit welcher Strategie ich normalerweise Informationen aus meinen anderen Interviewpartnern herauskitzele.

J: Kann der Teufel ohne Gott existieren?

T: Natürlich!

J: Aber ist es nicht so, dass es kein Böse ohne das Gute gibt? Keinen Tag ohne die Nacht?

T: Nun … Zunächst stellt sich die Frage, welcher Kreatur auf dieser Welt es obliegt zu entscheiden, was gut ist und was böse. Und warum sollte es das eine nicht ohne das andere geben? Wenn es keine Nacht gäbe, wäre eben immer Tag.

J: Auf welcher Seite sehen Sie sich denn? Auf der guten oder der bösen?

T: Ich bin sicher nicht derjenige, der entscheidet, was gut und was böse ist. Ich möchte einfach nur sein. Auf welcher Seite sehen Sie mich, Frau Stark?

J: Erzählen Sie mir mehr von sich, dann denke ich über eine Antwort nach!

T: Haha. Sie gefallen mir! Ich sehe mich in erster Linie als Vermittler. Es ist so: Wenn Ihre Spezies sich etwas besonders wünscht oder besonders verzweifelt ist, meldet sie sich bei mir. Ist das gut? Bedenkt man, dass ich euch helfe, ist es gut! Gibt es einen Preis? Natürlich, alles hat seinen Preis. Ist das gut? Nun, wer entscheidet?

J: Wenn ich etwas von Ihnen haben möchte: Was müsste ich Ihnen zahlen?

T: Sicher kein Geld! (lacht)

J: Sondern?

T: Was möchten Sie denn von mir haben?

J: Sagen wir, ich wäre gerne eine angesehene, erfolgreiche Journalistin.

Der Teufel sieht mich eindringend an. Ich habe das Gefühl, dass er in mich hineinblickt. Ich verfluche mich für die Klischees in meinem Kopf – und das Verfluchen. Verdammt noch mal! Mir wird klar, dass jedes Wort auf der Goldwaage liegt, wenn man es mit dem Teufel zu tun hat.

T: Gute Seelen sind die, die etwas taugen. Ich kann nichts mit einer durchschnittlichen Seele anfangen. Sie reicht nicht für das Gute – was immer das heißt – und nicht für das Böse – was immer das heißt. Es geht um Balance, Frau Kraft! Ich gebe Ihnen Erfolg – was sind Sie bereit, mir dafür zu geben? Ihren kleinen Finger? Ihre Augenfarbe? Ihre Seele?

Mir gefällt nicht, wie er mich ansieht. Ich habe nicht direkt Angst, aber dieses Interview ist gefährlich – obwohl ich mich keineswegs vom Teufel bedroht fühle. Seine Augen sind undurchdringlich, ein Versprechen liegt darin. Worauf lasse ich mich hier ein?

J: Okay, lassen wir das …

T: Wir können gerne ein anderes Mal darauf zurückkommen.

J: Das … wird nicht nötig sein.

T: Wie Sie meinen.

J: Sie sagten, Sie fanden interessant, dass ein Mensch Ihnen zuhören möchte. Ich höre Ihnen zu. Was möchten Sie erzählen?

T: Ist das jetzt schon mein Schlusssatz?

J: Nein. Ich würde nur gerne hören, was Sie erzählen möchten.

T: Machen wir zunächst mit Ihren Fragen weiter.

J: In Ordnung … In welchem Verhältnis stehen Sie zu Gott?

T: Wir sind Kollegen. Jeder geht seinen Weg auf seine Art. Und hin und wieder kreuzen sich unsere Wege.

J: Wenn die Geschichte um Gott und um Jesus stimmt …

T: … das habe ich nicht gesagt!

J: Also stimmt sie nicht?

T: Nicht unbedingt so, wie sie in dieser Bibel steht. Das liegt wohl auf der Hand. Die Bibel wurde von Menschen aufgeschrieben, also erzählt sie die Geschichte so, wie Menschen sie sehen. Aber es stimmt ja auch nicht alles, was in der Zeitung steht …

J: Meine Kollegen und ich geben uns aber die größte Mühe, die Beiträge perfekt zu recherchieren. Wenn uns ein Fehler unterläuft, gibt es eine Gegendarstellung.

T: Die gibt es für die Bibel auch.

J: Dann erzählen Sie mir doch Ihre Version!

T: Das mit dem Urknall und der Evolution habt ihr sehr gut recherchiert. Meinen Respekt dafür. Aus diesem Urknall sind Tausende und Abertausende Partikel entstanden. Viele kleine Energieteilchen, die viele kleine Körper hervorgebracht haben. Einer davon war meiner. Und Ihrer. Glauben Sie an sich?

J: Ja, natürlich. Sonst wäre ich nicht da, wo ich bin.

T: Selbstverständlich! Glauben Sie an mich?

J: Ja, jetzt, wo ich vor Ihnen sitze …

T: Nun, dann existieren wir beide wohl, was?

J: Sie beantworten meine Frage nicht!

T: (Lächelt) Sie haben recht. Lassen Sie es mich so formulieren: Alles, an das wir glauben, existiert auch. Ich. Sie. Gott. Der liebe Jesus.

J: Wollen Sie sagen, dass, wenn ich an den Weihnachtsmann glaube, er auch existiert?

T: Ach, dieser ungehobelte Kerl …

J: Jetzt machen Sie sich über mich lustig!

T: (Er lächelt verschmitzt) Vielleicht.

J: Teufel, beantworten Sie meine Frage: Stimmt es, dass Jesus Gottes Sohn war, dass Gott die Erde erschaffen hat, dass Sie der gefallene Engel sind?

T: Nein. Nein. Und nein. Der gefallene Engel war Luzifer. Ich bin jetzt Satan.

J: Wie bitte?

T: Ich bin der Teufel. Satan. Und ein sehr komplexes Individuum. (Er hebt die Augenbrauen) Der gefallene Engel war Luzifer, ein Engel Gottes. Im Grunde auch wieder so eine Idee …
(Der Teufel verfällt in nachdenkliches Schweigen)

Mein Kopf dröhnt. Was hatte ich erwartet? Ich habe es eindeutig mit dem Teufel zu tun. Ich nehme einen Schluck von meinem Rotwein. Er schmeckt herrlich. Der Teufel sitzt mir gegenüber, blickt mich mit diesen Augen an. Das Aufnahmegerät läuft. Es ist ein Minicomputer, hat unfassbar viel Kapazität. Ich drücke auf Stopp. Sehe dem Teufel in die Augen. Er zuckt nicht, blickt freundlich und völlig entspannt zurück.

J: Okay. Teufel. Satan. Warum bin ich hier?

T: Sie interessieren mich.

J: Warum? Gehöre ich zu den durchschnittlichen Seelen oder habe ich das gewisse Etwas, das Sie suchen?

T: Bei Ihnen bin ich mir noch nicht sicher. Sie haben nie jemandem Leid zugefügt – zumindest nicht bewusst. Aber Sie quälen sich selbst.

J: In wie fern?

T: Macht Ihr Beruf Ihnen Spaß? Essen Sie so wenig, weil Sie satt sind? Tragen Sie diesen Ring, weil er Ihnen etwas bedeutet? Mögen Sie Ihren Chef? Tun Sie, was sie wollen?

J: Ich … Dies ist ein Interview. Ich stelle Ihnen ein paar Fragen, Sie geben mir Antwort. Das war unser Deal! Was soll das Ihrer Meinung nach jetzt werden?

T: Sie haben recht, Marina! Unser Deal … Es tut mir leid. Aber ich bin der Teufel und kann nicht aus meiner Haut. Machen wir weiter. Stellen Sie Ihre Fragen. Ich werde so gut ich kann darauf antworten.

Er schaltet das Aufnahmegerät wieder an und wirft mir einen aufmunternden Blick zu.

J: Okay … Verkaufen Menschen Ihnen Ihre Seele?

T: Verkaufen … Drücken wir es so aus: Ich nehme etwas von Ihnen, aber das ist Berufsgeheimnis. Die meisten Seelen interessieren mich nicht.

J: Und die Seelen, die Sie interessieren?

T: (Lächelt verschmitzt)

J: Okay … Gibt es Gott?

T: Ja.

J: In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihm?

T: Das habe ich bereits beantwortet.

J: Entschuldigen Sie … Gibt es Jesus?

T: Ja.

J: Kennen Sie ihn?

T: Ach, wer kennt ihn nicht …Entschuldigung. Ja, ich kenne ihn. Er war ein netter Kerl.

J: War?

T: Nun, er ist vor über tausend Jahren gestorben.

J: Und nicht wieder auferstanden?

T: Nicht das ich wüsste.

J: Und Sie?

T: Ich bin noch nie gestorben. (Lacht)

J: Sind Sie unsterblich?

T: Ich fürchte ja.

J: Was heißt, Sie fürchten?

T: Das war nur eine Floskel.

J: So. Haben Sie schon viele Pakte mit Menschen geschlossen?

T: Was ist viel? Es waren schon einige, ja.

J: Ist es nun falsch, gefährlich oder schlecht einen Pakt mit Ihnen zu schließen?

T: Was glauben Sie?

J:

T: Ich denke, das muss jeder für sich selbst entscheiden.

J: Welchen Preis zahle ich, wenn ich einen Pakt mit Ihnen schließe?

T: Den Preis, den wir beide für angemessen halten in Bezug auf Ihren Wunsch.

J: Was ist ein gängiger Preis?

T: Sie tragen etwas zu meinen, sagen wir, Projekten bei.

J: Was sind das für Projekte?

T: Auch ich sehe diese Welt, Marina. Und ich sehe, dass hier und da etwas geschehen muss. Da setzen meine Projekte an. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen, tut mir leid.

J: Warum halten die meisten Menschen Sie für böse und Gott für gut?

T: Weil sie es seit Ewigkeiten nicht anders erzählt bekommen haben. Ich selbst unterscheide nicht zwischen Gut und Böse. Aber ich weiß sehr wohl, was Spaß macht und was nicht …

J: Halten Sie sich für böse?

T: Nein, überhaupt nicht. Sie?

J: Sie sind … sympathisch. Mehr kann ich nicht sagen.

T: Das höre ich öfter. Ich denke, sympathisch ist gut.

J: Haben Sie mit vielen Leuten Kontakt?

T: Oh ja!

J: Warum spricht keiner darüber?

T: Was denken Sie? Liegt es an meinem Image? Meinem schlechten Ruf? Oder an der exquisiten Auswahl meiner Gesprächspartner?

J: Vielleicht ein bisschen an allem …

T: Ja, vielleicht.

J: Müssen wir Angst vor Ihnen haben?

T: Aber nein!

J: Stimmt es, dass Sie die Welt ins Chaos stürzen wollen?

T: Nun … Ich finde, die Welt ist bereits ein ziemliches Chaos – und das ist sie im Grunde seit dem Urknall. Chaos kann durchaus konstruktiv sein. Ich bin zumindest kein Gegner des Chaos΄. Was bedeutet Chaos für Sie, Marina?

J: Eine schwierige Frage …

T: Das finde ich auch.

J: Ich denke, die meisten Menschen fürchten, dass die Welt, wie sie sie kennen, außer Kontrolle gerät.

T: Tja. Da stellt sich mir die Frage, wie gut diese Menschen die Welt kennen …

J: Die Menschen haben Angst vor dem Verfall der Moral, dem Untergang guter Werte. Ist das eines Ihrer „Projekte“?

T: (Lacht) Sie sind eine gute Journalistin! Nach meiner Überzeugung gehört zu jeder Moral und jedem „guten“ Wert eine Definition, nicht wahr? Und da frage ich mich erneut: Wie gut kennen die Menschen die Welt, die Moral und die Werte? Und darüber hinaus: Wer von ihnen entscheidet zwischen Gut und Böse? Meiner Ansicht nach sollten diese Menschen ihre Angst vor Veränderungen ablegen. Und sie könnten Gott ebenso fürchten wie mich.

J: Spielen Sie auf die Frage an, warum Gott all die Grausamkeiten in der Welt geschehen lässt?

T: Das könnte sein.

J: Warum lässt er es also zu?

T: Oh, Marina – das sollten Sie ihn fragen. Sicher nicht mich …

J: Es ist Zeit für ein Schlusswort.

T: Liebe Menschen! Ich bin nicht die Versuchung, die Versuchung kommt aus eurem Inneren. Eure Konzepte von Gut und Böse sind eben das: Eure eigenen Konzepte. Ich bin nur der Teufel. Entscheidet selbst, was ihr richtig oder falsch, gut oder böse findet. Hört auf die Antworten in euch, nicht auf die der anderen. Tut, was ihr wollt.

J: Vielen Dank für das Interview!

T: Gerne, Marina, gerne.

Ich trinke meinen Wein aus. Der Teufel erhebt sich und reicht mir seine Hand. Ein fester Händedruck. Ein letzter Blick aus seinen Augen. Er fragt mich, ob ich nach Hause komme. Ich sage, mein Wagen stünde vor der Tür. Er nickt. Lächelt ein letztes Mal. Wir gehen hinaus. Als ich mich für ein letztes Abschiedswort umdrehe, sehe ich einen Schatten verschwinden. Das wars.

Am nächsten Morgen erwache ich in meiner Wohnung. Ich habe Kopfweh und nehme eine Tablette. Ich trinke nie Rotwein, überhaupt keinen Alkohol. Ich nehme das Aufnahmegerät aus meiner Umhängetasche und wähle die Datei aus. Ich höre seine Stimme. Sein Lachen. Einen Unterton in jedem Wort, das er sagt, in der Betonung meines Namens. Ich höre das komplette Interview durch. Mein Chef wird ausflippen, wenn er es hört, wenn die Ausgabe der Zeitung damit erscheint.
Während ich einen Kaffee mache, lausche ich dem Schlusswort des Teufels. Es folgt ein Moment der Stille. Dann höre ich meine Stimme …

M: Teufel, wollen Sie meine Seele?
T: Wenn es der für Sie angemessene Preis für Ihren Wunsch ist, liebe Marina …

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